Die Art und Weise, wie wir Ereignisse benennen, verrät unsere Vorstellungswelt und unseren Platz in ihr.

Der Ausgangspunkt unseres Unbehagens
Der Ausgangspunkt unserer Probleme — und damit unseres Unbehagens — liegt darin, wie wir benennen, was uns widerfährt. Unsere Worte drücken unsere Sicht aus, bestimmen unseren Platz in der Welt und prägen schließlich unser Schicksal.
Darum benenne ich dieses Unbehagen neu: Es ist keineswegs eine Reaktion auf ein äußeres Ereignis, ob vergangen oder gegenwärtig. Es ist das Aufkommen eines tiefen Empfindens, losgelöst von zufälligen Umständen, das sich anschließend als Störungen manifestiert, die wir Krankheiten nennen.
Dieses Unbehagen entspringt einer Fokussierung, die nur dem Menschen eigen ist — auf das, was er als unaufhaltsamen Sturz in den Tod deutet. Es ist keine individuelle Merkwürdigkeit: Es ist eine universelle Eigenschaft des Menschen, die im übrigen Lebendigen nicht vorkommt.
Sein Ursprung ist klar: Unser Gehirn ist darauf programmiert, unablässig nach Ursachen in der Vergangenheit zu suchen. Philosophen sehen darin einen Determinismus durch unsere Vergangenheit; Physiker wenden die „Big‑Bang“-Theorie an.
Doch unser Unbehagen entfaltet sich in der Gegenwart. Und genau darin liegt die Falle: Indem wir uns mit unserem Gehirn identifizieren — und wie es woanders suchen, hinter uns — entfernen wir uns von dem einzigen Ort, an dem es erkannt und verwandelt werden kann.
Um diesem Unbehagen ein Ende zu setzen, bietet das Leben eine andere Sicht. Jeder von uns kann den Kipppunkt wiederfinden — diesen permanenten Big Bang in uns, direkt und unmittelbar, in den vom Gehirn aufrechterhaltenen Überzeugungen. Dieser innere Big Bang ist keine ferne Erinnerung: Er pulsiert hier und jetzt, im gegenwärtigen Augenblick, in uns.
Anders gesagt: Es gibt keine „Ursache“ zu jagen, sondern einen Ursprung zu erkennen. Und dieser Ursprung ist stets präsent, unversehrt, im Zentrum unseres aktuellen Erlebens. Ein kollektives mentales Programm, seit Jahrtausenden geerbt und genährt, erschafft in jedem Moment aufs Neue diesen „inneren Big Bang“, der unser Unbehagen erzeugt — ohne unser Wissen. Indem wir uns dieser Abhängigkeit von einer anachronistischen Programmierung unseres Gehirns bewusst werden, erobern wir unseren Weg zur Heilung zurück. Diese Bewusstheit passt in wenige Worte: Wir können unser Gehirn in seinem anachronistischen Fehlverhalten beobachten — und diese Distanz heilt uns trotz unserer offenkundigen Unzulänglichkeiten.
Meine therapeutische Arbeit besteht darin, Sie bei dieser Anerkennung zu begleiten. Der Schlüssel liegt in Ihnen: Ich helfe Ihnen, jenen Moment zu identifizieren, in dem sich alles neu entscheidet — durch Bilder, Worte und ein Zuhören, das den Weg öffnet, das Kommende zu empfangen.
Ich bekräftige daher, was ich zu Beginn sagte: Der Ausgangspunkt unserer Probleme — und damit unseres Unbehagens — liegt in der Art, wie wir benennen, was geschieht. Unsere Worte drücken unsere Sicht aus, bestimmen unseren Platz in der Welt und prägen unser Schicksal. Und nun kann ich hinzufügen: Unsere Wortwahl geschieht hier und jetzt, in der Gegenwart — noch bevor das Ereignis zum „Ereignis“, zur „Umstände“ oder zur „Krankheit“ wird. Das Leben hat also eine alternative Sicht vorgesehen!
Hier ist eine Metapher, um diesen Gedanken zu vertiefen:
Der Baum, die Kettensäge und die Böe: eine Metapher
Therapeutische Arbeit mit doppelter Schneide

Menschlicher Eingriff – sauber, doch unvollständig

Entwurzelung – brutal, befreiend, endgültig
Als ich diesen Sommer im Killarney‑Nationalpark in Irland spazieren ging, wurde ich Zeuge einer verstörenden Szene. Professionelle Baumpfleger schnitten beschädigte Bäume methodisch zurück. Sie begannen oben und arbeiteten sich Abschnitt für Abschnitt bis zur Basis vor. Die Arbeit war sauber, beeindruckend, effizient — fast therapeutisch.
Doch am Boden blieb ein Stumpf zurück. Tief verankert, die Wurzeln unversehrt. Und niemand wusste — oder konnte — ihn entfernen. Der jahrhundertealte Wald verhinderte den Zugang für Maschinen, die bis ins Herz der Wurzel fräsen könnten. Also ließ man ihn dort: tote Wurzel — unsichtbar und doch zäh lebendig in ihrer Trägheit.
Ohne diesen menschlichen Eingriff jedoch hätte eine einzige Böe gereicht, um den Baum vollständig zu entwurzeln — und im Lärm der Wahrheit den Boden zu befreien. Die Erinnerung zu befreien.
Wir alle haben aus uralten, über Generationen weitergegebenen Wurzeln einen Baum aufgebaut, dessen aufgepfropfte, irrige Überzeugungen das Laub bilden. Dieser Baum ist unsere Persona: das, was wir zu sein glauben, was wir der Welt zeigen, um gesehen, anerkannt, geliebt zu werden. Doch eines Tages fällt der Baum. Und wir stehen noch. Der Spiegel zerbricht — und etwas in uns staunt über seine neu entstehende Fähigkeit, sich wieder aufzubauen.
Diese inneren Wurzeln bestehen jedoch nicht nur aus Holz und Saft. Es sind Erinnerungen, Überzeugungen, Erzählungen — oft verarmt oder verzerrt — über Generationen hinweg. Wie die Wurzeln eines alten Baumes besetzen sie den Boden lange, nachdem der Stamm gefallen ist, und nähren in der Tiefe weiterhin die Vorstellung, wir seien dem Verfall, vorzeitiger Alterung und einer in ihr Schicksal erstarrten Welt ausgeliefert.
Hier trifft das Bild auf eine andere Sprache: die der Wörter, der Buchstaben und der Geschichten, die wir uns erzählen. Geht die Bedeutung verloren, bleibt die hohle Hülle, die eine Welt nach ihrem Bild formt — eine Welt, die uns gleicht, aber nur das Echo unserer irrigen Glaubenssätze ist. Sie schließt uns ein, so wie die Wurzeln eines toten Baumes das Leben begrenzen, das an ihrer Stelle wachsen könnte.
Darin liegt das Paradox: Was wir „Pflege“ nennen, kann wahre Befreiung manchmal blockieren. Getragen von aufrichtiger Mitmenschlichkeit kann ein Eingriff jenen tiefen Prozess aus dem Takt bringen, den man einst katharsis nannte — den Umschlagpunkt, an dem der Mensch durch Schrecken und Mitleid seine Finsternis durchschreitet, um neu zu werden.
Hier muss sich das Mitgefühl, der Motor des Therapeuten, erheben: über den bloßen Impuls zu lindern hinaus zu einer kompetenten Solidarität, geboren trotz unserer Unzulänglichkeiten, durch eine Öffnung für das, was sich unserer Kontrolle entzieht.
So geschieht Befreiung durch die Prüfungen des Lebens, wenn das, was uns gehalten hat, zusammenbricht: die Wurzeln der alten Welt, die Illusion der Isolation, das Gefühl, von allem und den anderen getrennt zu sein, der Wahn menschlicher Überlegenheit — der Ausgangspunkt der „Bestie in uns“, die sich von unserem Unbehagen nährt. Diese Abfolge — Unbehagen → Überlegenheit — erklärt, warum dieses Unbehagen unheilbar erscheinen konnte und sich seit Jahrtausenden in unseren Köpfen hält.
In anderer Form veranschaulicht der Film Que la bête meure dieselbe Dynamik:
Postskriptum – „Que la bête meure“
Hinter der Fassade eines Kriminaldramas erzählt Que la bête meure (Claude Chabrol, 1969) die obsessive Suche eines Vaters (Michel Duchaussoy) nach dem Autofahrer, der seinen Sohn überfuhr und Fahrerflucht beging. Dieser Weg der Rache führt ihn zu Paul Decourt (Jean Yanne), einem brutalen, zynischen und zutiefst destruktiven Mann.
Doch hinter dem Duell zweier Männer zeigt der Film eine intimere Dynamik: Je näher der Vater seinem Ziel kommt, desto tiefer gerät er in die Konfrontation mit seiner eigenen Dunkelheit — jenem Teil, der den Hass nährt und sich mit erlittenem Schmerz rechtfertigt. Die Jagd nach dem Schuldigen wird zum Spiegel einer inneren Jagd: der nach unserer eigenen „Bestie“. Diese Bestie nährt sich vom Unbehagen und nutzt es dann, um Überlegenheit zu beanspruchen und anderen ihre Sicht aufzuzwingen. Nun wird deutlich, dass die „Bestie“ in uns nichts anderes ist als unser Gehirn, das sich selbst zum Herrn erklärt — nicht nur über unser persönliches Schicksal, sondern über das der gesamten Menschheit.
Wahre Befreiung besteht nicht darin, einen äußeren Feind zu besiegen, sondern diesen uralten Mechanismus zu entwaffnen, der Schmerz in Herrschaft und Ohnmacht in Zorn und Zerstörung verwandelt. Solange er in uns lebendig bleibt, setzt er den Kreislauf fort.
Der Prediger (Kohelet) sagt es seit Jahrtausenden:
„Ich sprach in meinem Herzen über die Menschenkinder, dass Gott sie prüfe und sie sehen, dass sie an sich Tiere sind. Denn was den Menschenkindern widerfährt, das widerfährt auch dem Vieh; wie diese sterben, so sterben jene auch; sie haben alle denselben Odem, und der Mensch hat keinen Vorzug vor dem Vieh; denn alles ist Eitelkeit.“
Das ist keine Abwertung, sondern im Gegenteil eine neue Dimension des Menschseins, indem wir uns dem Lebendigen in seiner Ganzheit anschließen: die Anerkennung, dass wir zum selben Boden gehören — und dass unsere Illusion von Einzigartigkeit, wie die Wurzeln eines toten Baumes, fallen muss, damit ein anderes Leben wachsen kann.